Ich schlenderte dahin
und fand auf meinem Weg wieder diesen Zaun.
Weit und breit keine Öffnung
kein Durchkommen.
Abweisend und drohend in seiner Bauweise.
Vor vielen Jahren
sah ich ihn das erste Mal.
Damals wollte ich ihn noch übersteigen,
überwinden
und blickte hinüber.
Foto: pixelio.de by Olaf Schneider
Eine zauberhafte Wiese
mit wunderschönen Blumen breitete sich aus.
Blaue Veilchen stimmten meine Seele auf Natur ein.
Rote Rosen öffneten hingebungsvoll mein Herz.
Bunte Orchideen erfüllten mein Wesen mit erregender Freude.
Fassungslos wollte und konnte ich den Anblick nicht ertragen.
Unvorbereitet traf mich die Wucht einer Ganzheit und Vollkommenheit,
der ich noch nicht gewachsen war.
Mein Blick senkte sich und wie ein rettender Strohhalm
fand mein Aufgewühltsein den Zaun.
Grenzenlos fand ich Grenzen;
wo keine waren, schuf ich sie.
Mein Lebensinhalt war der Zaun geworden.
Mit jedem und allen sprach ich über ihn,
verklärte ihn,
machte ihn unüberwindbar
und vergaß mit der Zeit die jenseitige Welt.
Ich war älter geworden,
meine Augen waren müde
vom Ausschauhalten nach Grenzen.
Meine Lebensaufgabe
war der Halt am Zaun.
Ich war zufrieden, aber friedlos.
Ich war freundlich, ohne Freude zu empfinden.
Ich war tüchtig, aber verschlossen.
Foto: pixelio.de by Johnnyb
Ein Schmetterling
flatterte den Zaun entlang.
Mein Blick folgte seinem tanzenden Flug,
verlor sich in der Leichtigkeit seiner Bewegungen.
Wie von einem Windstoß getroffen
überquerte er plötzlich den Zaun.
Unverhofft sehe ich wieder die Wiese
jenseits des Zaunes.
Ich sehe bewusst eine Welt, meine Welt,
voller Blumen, Farben und Gefühle,
die ich vergessen glaubte,
die aber wahr waren,
wie ich selbst.
Ich spüre ein Sehnen,
ein Hingezogen-Sein zum unerreichbar Scheinenden.
Langsam richte ich mich auf
und wage das Unmögliche.
Ich gehe durch den Zaun,
höre hinter mir die Ketten
meine Vorstellungen und Einbildungen fallen.
"Der Zaun" aus: Zwischen Organismus und Organisation (2001) von Waldefried Pechtl